Oft macht es mich traurig, wenn ich beobachte, wie wir mit uns umgehen. Da ist ein Antrieb, zu Höchstleistung, auf den wir uns immer wieder einlassen. Wir sind unser eigener Sklaventreiber, fordern immer mehr von uns. Kaum ist ein Anspruch erfüllt, zeigt sich der nächste. Eine nie endende Geschichte, wenigstens solange, wie wir uns selber nicht genügen. Die Geschichte nicht gut genug zu sein, steckt bei den meisten in jeder Zelle. Sie ist bei vielen stark verbreitet und grad bei Frauen sehr zentral. Die vielen Diskussionen über Diskriminierung ist ein Spiegel dieser Überzeugung. Eine Überzeugung, die so normal und alltäglich ist, dass sie uns wie der Atem, meist unbemerkt, automatisch lebt. Den Schmerz, der damit verbunden ist, haben wir tief unter allen möglichen Massnahmen und Bemühungen begraben. Intakte Familie, gut organisierter Haushalt, gepflegter Garten, nebst Karriere und wohltätiger Arbeit. Alles im Griff, Frauenpower bis zum Umfallen. Kurz vor dem Zusammenbruch die Erkenntnis. So geht das nicht weiter, es wird Zeit mehr für mich da zu sein. Die Spiritualität wird zum Mittelpunkt, Selbstliebe ist angesagt. Die Bemühungen gehen weiter aber jetzt tu ich es für mich. Jeden Morgen eine halbe Stunde früher aufstehen zum Meditieren. Am Mittag kurz einen Smoothie, dann bleibt noch Zeit für ein paar Yoga Übungen zum Entspannen, danach so rasch wie möglich wieder an die Arbeit, damit ich am Abend etwas früher gehen kann und genug Zeit habe für das Online Seminar „es ist dein Leben“. Das Abendessen wird kurz, das Gespräch mit dem Partner fällt aus. Er hilft den Kindern bei den Hausaufgaben, damit ich die empfohlenen Übungen zur Selbstannahme noch machen kann. Warum verstehe ich noch immer nicht, was der aktuelle spirituelle bereits erleuchtete Meister damit sagen will. Ob ich das je schaffe? Na ja ich lege mich jetzt besser schlafen, damit ich am Morgen die Meditation nicht verpasse. Er hat ja erwähnt, wie wichtig das ist. Und überhaupt am Wochenende bin ich ja dann beim Seminar. Da wird dann ganz bestimmt einiges klarer…. Hoffentlich … schaffe ich es rechtzeitig. Ich muss ja vorher noch die Kinder zur Oma fahren und die Katzen ins Tierheim bringen, da mein nicht spiritueller Partner ausgerechnet dieses Wochenende mit seinem doofen Kegelverein einen Ausflug hat. Ich sollte mir langsam überlegen, ob das mit uns noch eine Zukunft hat, wenn ihm so ein Mist wichtiger ist wie ich. Der pure Wahnsinn geht weiter. Wenigstens so lange, wie tief in uns die Überzeugung ruht, nicht gut genug zu sein.